Deshalb fragten wir bei den Gruppen und auch Mitgliedern nach der Situation von Betroffenen und Angehörigen und welche Erfahrungen diese in den letzten Monaten gemacht haben. Seit Ausbruch der Pandemie konnten wir Kontakt zu 57 Selbsthilfegruppen herstellen. Bei unserer Befragung zur Coronaproblematik bekamen wir von 43 Verantwortlichen eine Rückmeldung. Zusätzlich wurden über 50 unserer Mitglieder zu dieser Befragung mit einbezogen und konnten so Ihre Erfahrungen mit uns teilen.
Das Ergebnis war vielfältig und es wurde ganz Unterschiedliches berichtet: von erst einmal wenig Kontakten und „Abwarten was kommt“, bis hin zu Fragen wie:
"Wieso sind wir plötzlich als ältere Generation gefährdet und gehören zur Risikogruppe?“
„Weshalb darf ich denn jetzt meine Wohnung nicht mehr verlassen und soll zu Hause bleiben?“
„Hilfe annehmen? Nein! Das kann ich doch selbst noch tun und überhaupt, ich lass doch niemand Fremdes in meine Wohnung. Das erinnert mich an Kriegszeiten.“
Auch der Ton und die Schlagworte in den Medien führten bei einigen Menschen zu Momenten der Angst und Verunsicherung. Viele erinnerten sich an manch durchlebte Zeit während des Krieges und danach. Es gab aber auch Stimmen der Dankbarkeit, Menschen an der Seite zu haben, die einen schützen und versorgen. Dankbar, dass das Gefühl der Verbundenheit trotz der schwierigen Zeit im Vordergrund stand.
Was bereitete die meisten Schwierigkeiten?
Besondere Betroffenheit lösten die Regelungen in den Altenpflegeheimen aus. Durch die komplette Besuchssperre und den eingeschränkten persönlichen Kontakt, litten sowohl die Angehörigen, als auch die HeimbewohnerInnen. Befürchtete Ängste wie das nicht mehr Erkennen der Person bei einem Wiedersehen oder auch der eingeschränkte Bewegungsmangel bereiteten große Sorgen und führten zu Verunsicherungen. Auch da hörten wir ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Manche stellten große Pavillons für Gespräche im Garten auf, andere unterhielten sich über den Gartenzaun oder nutzten das Außengelände des Heimes für Kontakte. Kreativität kennt keine Grenzen und wir fanden es gut, dass diese sich in der Coronazeit bewährte.
Kontaktbeschränkungen und Isolation wurden Alltag, Entlastungsmöglichkeiten wie Tagespflege oder ergänzende Betreuung fielen plötzlich weg. Dadurch kam es zu Überlastung, Überforderung und teilweisem Aufgeben der häuslichen Pflege der Angehörigen.
Gartenzaun und Telefon
Hier waren Telefonate dann das wichtigste Kontaktmittel, um sich Hilfe, Ratschläge oder Ideen zu holen, wie diese schwierige Zeit zu meistern sein könnte. Einfach nur einmal Reden zu können oder seine Tränen fließen zu lassen, hatte einen befreienden Charakter und es wurde vielen Angehörigen noch bewusster, welchen Wert ihre Selbsthilfegruppe hat. Sich regelmäßig treffen zu können, einen Raum zu haben, um über all das reden zu können, was drängt, was belastet, was schwerfällt, aber auch erfreut, heiter und optimistisch stimmt, ist von großem Wert.
In dieser Zeit boten die GruppenleiterInnen vielfache Kontakte über unterschiedliche Medien an, von WhatsApp, Skype bis hin zur Videokonferenz. Anfängliche Vorbehalte und Hürden gegenüber „der Technik“ wurden teilweise überwunden, einige probierten Neues aus und erlebten positive Momente, auch wenn die direkte Begegnung damit nicht ersetzt werden konnte.
Doch der direkte Austausch mit Abstand über den Gartenzaun oder Telefonate - so wurde es in vielen Gesprächen deutlich - sind noch immer die alten und vertrauten Möglichkeiten, sich miteinander auszutauschen. Dies funktionierte nach Erfahrungen aus den Gruppen am besten.
Schmerzlich und Entlastend, ….
Manchmal musste in dieser Zeit aber auch der Weg gegangen werden, sich einer neuen Situation zu stellen und Abschied zu nehmen von Althergebrachtem: Die Anstrengungen und Belastungen in der Betreuung zu Hause waren so enorm, dass eine Heimunterbringung sich nicht mehr vermeiden ließ. Schmerzlich zum einen durch die starken Kontaktbeschränkungen und entlastend zum anderen, weil die Kräfte überschätzt wurden und oft am Ende waren.
Von einer Covid-19 Infektion betroffen - und damit verbunden, eine leidvolle Zeit zu bewältigen - gab es sehr wenige. Durch die doch sehr schnell getroffenen Hygieneregeln und Maßnahmen, so wurde uns mitgeteilt, ist es zu keinen größeren Ausbreitungen gekommen.
Was können wir aus dieser Zeit lernen?
Es ist nicht immer leicht gewesen, die Ein- und Beschränkungen zu akzeptieren und einzuhalten. Doch haben wir erfahren dürfen, dass es sehr viele kreative Ideen gab und gibt, diese Krise gemeinsam zu bewältigen: Sei es durch Nachbarschaftshilfe, Einkaufsservice, Hof- und Straßenmusik, das Schreiben von Briefen und Karten, das Verschicken von Fotos, die moderne Kommunikation über Tablet und vieles mehr - Wir möchten solche Möglichkeiten weiter zusammentragen und als ermutigende Beispiele vermitteln.
Die ersten Gruppentreffen finden inzwischen bereits wieder statt. Häufig draußen im Freien, z.B. in einem Garten, einer Parkanlage oder einem Kaffee mit freier Sitzgelegenheit im Außenbereich. Über diese dringend nötigen Möglichkeiten der persönlichen Begegnung, sich nach vielen Wochen endlich wieder direkt sehen und sprechen zu können, äußerten sich viele Gruppen erleichtert.
Dankeschön
Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle all denjenigen, die Kraft, Mühen und Geduld hatten und noch immer haben, um für die ältere Generation, insbesondere für Menschen mit Demenz, in dieser schwierigen Zeit da zu sein. Gespräche waren und sind eine wichtige Möglichkeit, um zu spüren, nicht vergessen und allein zu sein, um Entlastung und Lichtblicke zu erleben und in eine ermutigende Richtung denken zu können. Der Austausch untereinander war für die Angehörigen besonders in der Krisenzeit unentbehrlich. Dies war nur dank der entstandenen und tragenden Beziehungen in den Gruppen möglich.
Wenn Sie Weiteres zu unserer Befragung wissen möchten, Anregungen oder Rücksprachebedarf haben, können Sie sich gern an Frau Ines Süß unter Tel. 0351 – 810 851 22 oder Email: i.suess@landesinitiative-demenz.de wenden.
zurück zur Übersicht